Reinhold Brinkmann, Musikwissenschaftler an der Harvard University, erhält den Ernst von Siemens Musikpreis 2001. Die Preisverleihung findet am 31. Mai 2001 in München statt.

In der Begründung der Siemens-Stiftung zur Verleihung des Preises heißt es:

Das Denken, Reden, Schreiben über Musik und die analytische Auseinandersetzung mit ihr haben in allen Hochkulturen eine Bedeutung, die vom eigentlichen Erfinden von Musik nicht zu trennen ist. Die Ernst von Siemens Musikstiftung zeichnet mit Reinhold Brinkmann eine Persönlichkeit aus, deren Forschungsinteressen vom Mittelalter bis zur Gegenwart reichen. Zu solchem Musikverstehen und Musikerkennen bedarf es allerdings großer Musikalität und Intelligenz, aber auch einer nie nachlassenden Passion für große Kunstwerke und deren Geschichte, die den diesjährigen Preisträger auszeichnen.

Reinhold Brinkmann war in den späten sechziger Jahren (zusammen mit Carl Dahlhaus und Rudolf Stephan) maßgeblich an der Um- und Aufwertung der bis dahin von der Wissenschaft tabuisierten musikalischen Moderne beteiligt, die dann recht bald zu einem bevorzugten Gegenstand der akademischen Musikwissenschaft werden sollte. An seinem Beitrag hierzu sind fünf Momente hervorzuheben: die Eindringlichkeit der musikalischen Analyse, die noch immer Maßstäbe setzt; die Interpretation der ästhetischen Moderne im Lichte des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses; die Mit-Begründung der musikalischen Exilforschung; die Öffnung auch zu einer traditionslosen Avantgarde (Varèse); und schließlich die Rekonstruktion einer Frühgeschichte der Moderne in Studien zur deutschen Romantik. Auf diesen fünf Pfeilern, einem wesentlichen Beitrag zum Paradigmenwechsel der Musikwissenschaft um 1970, bauen Brinkmanns Arbeiten auf.

Reinhold Brinkmann hat über Schönbergs Drei Klavierstücke op. 11 sein erstes Buch zu einer Zeit geschrieben, als noch gegen Schönberg polemisiert und der Gegenwartsmusik schlechthin "Humanität" abgesprochen wurde. Er hat den späten Beethoven erforscht und in diese Arbeit auch tiefgreifende Einsichten in die Musik des jungen Wolfgang Rihm einfließen lassen. In Studien zu Schönberg und Stefan George, Schubert und Wilhelm Müller, Schumann und Eichendorff, Wagner und Wagner, Schönberg und Giraud/Hartleben, Rihm und Hölderlin hat erst Brinkmann ins Licht gerückt, was es bedeutet, wenn Komponisten bedeutende Dichtung in ihrer eigenen, in der musikalischen Sprache lesen. Solche Erkenntnis musikalischer Lyrik wächst aus doppelter, darum entsprechend seltener Analysekompetenz in Musik- und Literaturwissenschaft. All dies läßt einen Meister kritischer Musikologie erkennen, der auch mit Sprache subtil umzugehen weiß.

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