Händler, Helden, Tantiemen

Die Musikverlage im Zeitalter von Computer und Internet. Versuch einer Bestandesaufnahme

Die Komponisten und ihre Verleger: Eine Jahrhunderte alte Beziehung zwischen ungleichen Partnern, mit Höhen und Tiefen, Erfolgsgeschichten und Krisen, Lobgesängen und üblen Nachreden. In seinem karikierenden Liederzyklus Krämerspiegel nach Texten von Alfred Kerr hat Richard Strauss den Verleger als „Händler und Macher“ apostrophiert, der in den Augen des Komponisten nur eines im Sinn hat: Geld und nochmals Geld. Er erscheint als der Widersacher des wackeren Komponisten – des „Helden“, wie es darin in selbstgefälliger Anspielung auf Straussens Tondichtung Ein Heldenleben heißt. Ein heutiger Komponist hat es nach einigen negativen Erfahrungen auch anders formuliert, darwinistischer: „Der Verleger ist der natürliche Feind des Komponisten.“

Doch gemach: So einfach sind die Feindbilder dann doch nicht zu haben. Das Verhältnis von Musik und Geschäft, von Komponist und Verleger, ist zweifellos etwas komplexer und lässt sich nicht auf den unversöhnlichen Interessengegensatz von Geld und Geist reduzieren. Das lassen bei aller Satire auch die Lieder von Strauss und Kerr durchblicken. Hinter allen bösen Wortspielen vom Bock, der als Bote beim Künstler an die Tür klopft, den Geschichten von Streckern und Geldsackpflegern oder dem nationalistisch gefärbten Stoßseufzer aus dem Jahr 1918: "Unser Feind ist, großer Gott, wie der Brite so der Schott", steckt auch stets eine Portion altväterischer Humorigkeit.

Denn auch ein Strauss wusste natürlich, was er an seinem Verleger hatte, genau so wie es heute ein Boulez, ein Henze oder Ligeti weiß. Handelt der Verleger doch u.a. bei Bühnenwerken die Tantiemen mit dem Veranstalter aus, die er sich dann mit dem Autor teilt; und dazu braucht es ein gewisses Verhandlungsgeschick. Beide sitzen also gleichsam in einem Boot und müssen, trotz gelegentlich unterschiedlicher Interessen, miteinander rudern. Dem einen geht es primär um Kunst, dem andern primär ums Geschäft. Aber derjenige, dem es um Kunst geht, will mit ihr ja auch in die Öffentlichkeit, und das heißt nun einmal: ins Geschäft kommen. Und derjenige, der das Geschäft betreibt, identifiziert sich in der Regel auch mit der Kunst, die er produziert. Sonst würde er nämlich eher mit Schrauben oder Plastiktöpfen handeln. Und so vertragen sich beide unter bestimmten Bedingungen. Das heißt sie schließen einen Vertrag ab. Ein solches Vertragsverhältnis gibt beiden gewisse Rechte und Pflichten, und auf diese Weise sind manche Komponisten und Verleger lange Wegstrecken zusammen gegangen wie ein altgedientes Ehepaar.

Kleiner historischer Rückblick

Doch was macht eigentlich ein Verleger, außer Geld für sich und den Komponisten zu kassieren? Ein alter Musikerwitz lautet: Er verlegt die Partitur, so dass sie nachher keiner mehr findet. Aber das alte Wort „Verlegen“ hat etwas mit „Auslegen“ und „Vorlegen“ zu tun – Geld für etwas anderes hingeben. Das heißt: Es wird vorgestreckt für ein Produkt, aus dem man, wenn es sich denn verkauft, die Investition samt einem guten Gewinn wieder herausziehen kann. Ein urkapitalistisches Prinzip, und die Einrichtung des Musikverlags als Handel mit gedruckten Noten ist denn auch in der Frühzeit des Kapitalismus entstanden, etwa gleichzeitig mit dem Buchdruck.

Als erster Musikverleger gilt gemeinhin der Venezianer Ottaviano Petrucci, der Erfinder des Notendrucks mit beweglichen Typen. Um 1501 veröffentlichte er unter dem Titel Harmonice Musices Odhecaton seinen ersten Notendruck, eine Sammlung von Chansons prominenter Komponisten im mehrstimmigen Satz. Es erschienen rasch hintereinander zwei weitere Folgen. Das Odhecaton war für das Venedig des frühen 16. Jahrhunderts das, was über 400 Jahre später die Sheet Music, die gefalteten Notenblätter mit Film- und Musicalmelodien, für den Broadway waren: Stoff für spielfreudige Amateure und ein Verkaufserfolg für den Verleger.

Zu Zeiten des Venezianers Petrucci handelte der Verleger auf eigene Rechnung und war dem Komponisten nichts schuldig. Petrucci nannte in seinem Odhecaton nicht einmal die Namen der Autoren. Doch seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich das gewandelt, zumindest in den Industrieländern. Das Urheberrecht wurde gesetzlich verankert und es wurden Verwertungsgesellschaften wie die Gema gegründet mit dem Ziel, auf einem schnell expandierenden Markt die Rechte der Autoren zu wahren und auf Aufführungen in Konzertsaal, Radio, Film und Schallplatten eine Urheberrechtsabgabe oder Tantieme zu erheben.

Seither befindet sich der Verleger in einem Spannungsfeld vielfältiger Interessen. Die wichtigsten Größen in diesem Kräftevieleck sind einerseits der Komponist oder Urheber, andererseits der Veranstalter, die Medien und der Musikalienhändler. Der Verleger steht dazwischen. Er erwirbt sich die Rechte am Musikwerk und handelt damit in Form von Noten oder Lizenzen, die er an die Abnehmer verkauft. Den Gewinn teilt er sich mit dem Komponisten. Am Schluss jeder Verwertungskette steht natürlich der musikfreundliche Konsument, sei es als Konzertbesucher, Mediennutzer oder Notenkäufer.

Da ein Musikstück bis siebzig Jahre nach dem Tod seines Autors rechtlich geschützt ist und man heute zu jeder Tag- und Nachtzeit und in allen Lebenslagen von Lautsprechermusik umgeben ist, wird schnell klar: Mit Musikverlegen lässt sich eine Menge Geld verdienen.

Wie alle andern Wirtschaftszweige befindet sich das Musikverlagswesen heute in einem  tiefgreifenden Wandel, bedingt durch Globalisierung und neue Technologien. Doch während in der Tonträgerindustrie in den letzten Jahren die Hiobsbotschaften über dramatische Umsatzeinbußen nicht abrissen, blieb es in den Reihen der Musikverleger verhältnismäßig ruhig. Die Traditionsverlage der „Ernsten Musik“ sind vermutlich spätestens 1994 aus ihrer trügerischen Sicherheit aufgeschreckt worden. Damals wurde das große italienische Verlagshaus Ricordi über Nacht vom Medienmulti Bertelsmann geschluckt; seine in zwei Jahrhunderten aufgebaute Identität hat es heute weitgehend verloren. Die Konkurrenz hat sich seither verstärkt fit gemacht für den verschärften Wettbewerb unter den Bedingungen der Globalisierung. Die großen und symbolstarken Pleiten, die es in andern Wirtschaftsbereichen gibt, sind hier somit ausgeblieben.

Der Verleger: Blick nach vorne

Im Deutschen Musikverleger-Verband sind rund 570 Musikverlage zusammengeschlossen; das entspricht einer Organisationsdichte von etwa 90 Prozent. Sie erwirtschaften einen Gesamtumsatz von mehr als 400 Millionen Euro pro Jahr. Der Verband wurde 1829, im Jahr der Wiederentdeckung der Matthäus-Passion durch Mendelssohn, gegründet und konnte 2004 sein 175-jähriges Bestehen feiern. Er ist Sprachrohr der Verleger in der Öffentlichkeit, Lobby zur Politik und hat in der Musikwirtschaft ein wichtiges Wort mitzureden. 

Die alten Traditionsunternehmen wie Schott, Universal, Breitkopf & Härtel oder Bärenreiter sind so etwas wie die Flaggschiffe des Verbands. Das Kopiertrauma, unter dem die Tonträgerfirmen heute leiden, haben sie schon vor 20, 30 Jahren mit dem Fotokopieren erlebt. Sie haben es erfolgreich überstanden. Und heute sehen manche sogar verhalten optimistisch in die Zukunft. Leonhard Scheuch, Geschäftsführer des Bärenreiter Verlags Kassel:

"Wenn ich daran zurückdenke, als ich in das Verlagsgeschäft hineingekommen bin, was da für schwarze Zukunftsprognosen gegeben worden sind! Da kann ich nur sagen: Jetzt haben wir 25 Jahre ohne tiefste Rückschläge überstanden. Wir sind zwar mit dem Handel in Deutschland nicht absolut zufrieden, verstehen aber auch die Schwierigkeiten, die da sind. Aber im internationalen Geschäft haben wir Zuwächse, und so lange wir das haben, können wir auch so produzieren, wie wir es gewohnt sind und wie wir es auch weiterhin tun wollen."

Der Bärenreiter-Verlag gehört zu den jüngeren unter den deutschen Traditionsverlagen. Gegründet 1923 von Karl Vötterle, schuf er sich zunächst eine Basis mit Volkslied und Barockmusik und stieg nach dem 2. Weltkrieg groß in das Geschäft mit wissenschaftlichen Gesamtausgaben ein. Zu seinem anspruchsvollen Programm im Bereich der Notenedition gehören Großprojekte wie die Neue Schütz-Edition, die Neue Mozart-Ausgabe oder die kritische Händel-Gesamtausgabe. Die kritischen Werk-Editionen kann der Verlag nur herausbringen, weil die wissenschaftliche Arbeit über Forschungsgelder subventioniert wird, wie Scheuch erläutert:

"Das Problem ist jetzt eben, dass auch diese Gelder immer spärlichern fließen. Wir haben in Prag jetzt ein großes Projekt, Dvorak-Gesamtausgabe, und da fehlt es eben zum großen Teil noch an der Finanzierung der ganzen wissenschaftlichen Arbeit. In Tschechien sind die Gelder natürlich nicht so da, und sie werden nur in geringem Maße an Nachwuchswissenschaftler bezahlt, die dann für zwei oder drei Jahre abgesichert sind, aber das genügt natürlich nicht. Wir wollen eine solche Ausgabe natürlich auf internationalem Level machen, wir müssen auch amerikanische und englische Musikwissenschaftler dafür gewinnen, und deren Arbeit muss bezahlt werden."

Doch einmal im internationalen Markt verankert, sind die Gesamtausgaben ein solider Pfeiler des Verlagsgeschäfts:

"Wir können sagen, dass sich unsere großen alten Gesamtausgaben natürlich gerechnet haben, und ohne das könnten wir im Bereich zeitgenössische Musik überhaupt nicht arbeiten. Denn das, was wir in die zeitgenössische Musik investieren, kommt letzten Endes aus dem Papiergeschäft, und da vor allem aus den Gesamtausgaben."

Diese Art der Finanzierung – das Alte trägt das Neue, womit eine Jahrhunderte übergreifende Verwertungskette entsteht – war bisher ein normales Verfahren bei den E-Musik-Verlagen. Doch es scheint, dass dieses bewährte Prinzip gegenwärtig gefährdet ist. In den letzten Jahren sind die Herstellungskosten enorm in die Höhe geschossen, bedingt durch den aufwendigeren Computersatz und die gestiegenen Ansprüche auf Seiten der Kunden. Das betrifft nicht nur die neuen Partituren, sondern auch die Pflege des sogenannten Altkatalogs, sagt Bernhard Pfau, einer der Verantwortlichen für Promotion beim Verlag Schott in Mainz.

"In früheren Jahren hat man die Auffassung vertreten, dass der sog. Altkatalog, also der Bestand an wichtigen Werken aus dem Verlagskatalog, mit dem hohe Einnahmen generiert werden – zum Beispiel Strawinsky, Orff, Hindemith – mehr oder weniger die jungen Komponisten subventionieren. Eine Art Generationenvertrag. Dass der Altkatalog dazu taugt, die nachwachsende Generation zu finanzieren.
Davon müssen wir uns tendenziell verabschieden, weil die Marktsituation dazu führt, dass man für den klassischen Bestand von Werken viel mehr tun muss als früher, um deren Verankerung in der Musikszene zu erhalten. Das hat etwas mit diesem allgemeinen Rückgang zu tun. Wenn die mittelständischen Sinfonieorchester bei jeder Materialgebühr ihre Euros dreimal umdrehen müssen, wird man gezwungen sein, auch den Altkatalog in viel stärkerem Maße zu bewerben.
Dazu kommt: Probenzeiten schrumpfen. Aufführungsmaterialien genügen nicht mehr den Anforderungen. Beschwerden. Man muss viel mehr investieren, um diese Werke in einer guten Form verfügbar zu machen. Und diese Mittel gehen klarerweise der nachrückenden Generation verloren. Wir sind also gezwungen, wenn wir heute neue Komponisten in den Verlag nehmen, diese Autoren in viel stärkerem Maße in eine wirtschaftliche Diskussion einbeziehen."

Und diese wirtschaftliche Diskussion dreht sich vor allem um die Herstellungskosten. Jede Orchester- oder Ensembleaufführung benötigt ein sogenanntes Aufführungsmaterial – die Noten, die jedem einzelnen Musiker aufs Notenpult gelegt und meist vom Verlag vermietet werden. Der allgemeine Trend geht heute in die Richtung, dass vom Komponisten erwartet wird, dass er dieses Aufführungsmaterial dem Verlag in digitalisierter Form, als Computersatz, zur Verfügung stellt – auf eigene Kosten, versteht sich. Leonhard Scheuch:

"Wir sind eigentlich froh um jeden einzelnen Komponisten, der uns möglichst ein spielbares Material liefert. Dann sind die Kosten geringer. Aber es gibt eben dann wieder andere, und das sind dann eben meistens auch die schwierigsten Partituren, die wir voll computerisiert herstellen lassen müssen – das Material ist mit Computer gesetzt. Das ist ein Standard, den wir da erreicht haben, der ist absolut phänomenal. Das erspart natürlich auch Probleme bei den Proben. Es gibt keine Fragen mehr, das ist ein nahezu fehlerfreies Material. Aber die Kosten sind einfach so enorm, dass sie sich mit den normalen Aufführungsgebühren nicht mehr decken lassen."

Die Sicht eines Komponisten

Gerhard Stäbler ist seit über zwei Jahrzehnten mit seinen Werken im Musikbetrieb präsent, mit sehr vielen kleinen Besetzungen, mit größeren konzertanten Stücken und einigen Musiktheaterwerken. Was erwartet Stäbler von einem Musikverlag?

"Optimal wäre für mich, wenn ein Verlag ordentlich die Noten herstellen und vertreiben würde, dafür entsprechend Promotion machen und mithelfen würde, dass man Aufträge bekommt. Das ist das ideale Bild. Dass es so nicht ist, kennt jeder. Doch wie kann man sich unter den gegebenen Umständen einen Verlag vorstellen, der den Komponisten eine angemessene Hilfestellung geben kann? In diesem Zusammenhang sind wir heute in einer anderen Situation als noch vor 10, 15 Jahren, als es noch kein Internet gab und man die Partituren noch nicht so leicht anbieten konnte. Deswegen ist heute die wichtigste Funktion eines Verlags: Größere Werke wie Orchesterwerke oder Opern zu verlegen, und das bedeutet: diese Materialien vorzufinanzieren, und dem Komponisten zu helfen, Aufträge dafür zu bekommen."

Wunsch und Realität klaffen nicht selten gewaltig auseinander. Den Ansprüchen eines Komponisten kann ein Verlag nur in wenigen Fällen nachkommen – es sind zu viele Namen im Katalog, und manchmal hapert es an der Herstellungsqualität, manchmal an den Kapazitäten für die nötige Öffentlichkeitsarbeit. Schlimmstenfalls an beidem. Viele Komponisten, gerade auch jüngere, versuchen deshalb, ihre Werke allein oder als Mitglieder einer kleinen Produktions- oder Vertriebsgemeinschaft in die Öffentlichkeit zu bringen. Stäbler hat den Vorteil, dass er beides machen kann. Größere Werke, bei denen umfangreiche Materialien herzustellen sind, überlässt er dem Verlag Ricordi, wo er unter Vertrag ist; Kammermusikwerke, improvisatorische und konzeptuelle Arbeiten produziert er im Eigenverlag und bietet sie bei Bedarf über das Internet an.

"Ich bin immer zweigleisig verfahren mit Veröffentlichungen, weil meine Arbeit sehr unterschiedlich ausfällt. Performance-Stücke im Verlag haben keine Basis. Es ist eigentlich unnötig oder macht wenig Sinn, das anzubieten. Da ist dann ein Einzelwerk im Performancebereich im Gesamtkatalog und niemand sucht danach."

Ein solches Stück ist zum Beispiel Stäblers Rachengold, eine Soloperformance, die im abgedunkelten Saal stattfinden soll. Das Stück ist nach seinen eigenen Worten in einer "geheimen Partitur" notiert. Einen Verlag, der mit greifbaren Partituren zu handeln pflegt, motiviert das nun nicht gerade zum verlegerischen Handeln. Der Kommentar von Bernhard Pfau:

"Es gibt Künstler, die sich innerhalb einer gewissen Szene blendend bewegen, und die, um eine optimale Darstellung und Verwertung in der Öffentlichkeit zu bekommen, einen Verlag wie Schott mit Sicherheit nicht brauchen."

Für die kleineren Werke, die Konzept- und Performance-Stücke hat Stäbler einen Eigenverlag unter dem Titel Earport gegründet, und der funktioniert praktisch als Einpersonen-Unternehmen. Sein Aktionsfeld ist vorwiegend das Internet.
Zahlreiche Komponisten vertreiben ihre Partituren inzwischen über das Internet. Und es gibt im Netz bereits Adressen, unter denen sich solche Kleinproduzenten treffen und ihre Produkte in einem gemeinsamen Portal anbieten. Die Partituren, sagt Stäbler, werden in der Regel in einem Format ins Netz gestellt, das heute jedem Computernutzer zur Verfügung steht und das sich als internationaler Standard durchgesetzt hat:

"Als fertiges pdf-File. Und es gibt schon ein paar Verlage, z.B. 'Copy us', die Partituren übers Internet anbieten, und das funktioniert ganz gut. Viele Leute können da Noten herunter. Das unterliegt dennoch der Gema, wenn es aufgeführt wird. Aber die Kompositionen herunterzuladen, kostet erst mal nichts, erst wenn sie aufgeführt werden."

Der Name "Copy us" klingt in den Ohren eines traditionellen Verlags vermutlich wie unternehmerisches Harakiri, handelt es sich hier doch um die direkte Aufforderung zum Überschreiten des Kopierverbots. "Copy us" ist ein Internet-Verlag, der auf seiner Homepage mit süffigen Werbesprüchen wie „Don’t pay, just play“ für sich wirbt. Er stellt nicht nur Kataloge und Bestellformulare, sondern die Noten selbst im pdf-Format zum Herunterladen bereit. Man kann jedoch auch gegen Bezahlung eine gebundene Version bestellen, die einem dann per Post zugeschickt wird. Die im niederrheinischen Kleve beheimatete Verlags-GmbH hat bereits über dreihundert Werke im Angebot, von Heinrich Schütz bis zu Zeitgenossen. Um den Service komplett zu machen, gibt es bei vielen Stücken sogar kurze Ausschnitte als mp3-Files herunterzuladen.

Hinter einer solchen Selbsthilfe-Initiative steht eine einfache ökonomische Einsicht: Dass sich nämlich der physische Vertrieb und Verkauf von kleineren Partituren nicht mehr lohnt, und dass es vorteilhafter ist, zunächst einmal den Datenträger für jedermann gratis zur Ansicht freizugeben. Einnahmen stellen sich dann aus den Rechten einer eventuellen Aufführung ein. Diese käme meist gar nicht zustande, wenn ein Musiker oder Veranstalter sich schon die Ansichtspartitur gegen hohe Versandspesen besorgen müsste.

Erfahrungen eines Verlagsvertreters

Kaum ein Verlagsmitarbeiter hat einen so präzisen Einblick in die Kundenbedürfnisse und –wünsche wie der Verlagsvertreter. Er ist der Verbindungsmann zwischen dem Verlag  und dem Musikalienhändler vor Ort, der wiederum im direkten Kontakt mit dem Endkunden steht. Der Verlagsvertreter besucht den Händler ein bis zweimal im Jahr und präsentiert ihm Novitäten und interessante Titel aus der Backlist.
Klaus Gerhards reiste viele Jahre lang für einige große Verlage durch Deutschland und seit kurzem durch Frankreich. Auch für ihn hat das Internet unbestreitbare Vorteile:

"Ich selbst reise seit dem Herbst 2004 nur noch in Frankreich und propagiere da für einen großen deutschen Verlag auch die Bestellmöglichkeit übers Internet, was gern genutzt wird. Das wird vom Verlag bevorzugt behandelt. Wenn sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt am Vormittag eintreffen, gehen die Internet-Bestellungen am selben Tag noch raus. Das ist natürlich ein Anreiz für den Händler im Sinne eines schnellen Ergänzens seines Lagers. Internet-Bestellungen geben auch je nach System die Möglichkeit, gleich bei der Bestellung nachzuprüfen, ob der gewünschte Titel überhaupt am Lager ist. Man kann also vom Bildschirm aus dem Kunden, der vielleicht daneben steht, im Geschäft sagen: Ihr Titel wird in drei vier fünf Tagen da sein, oder: Er ist zur Zeit vergriffen, oder: Er wird nachgedruckt, wir müssen einige Zeit warten.
Diese Möglichkeiten hatte man früher nicht. Da ging erst eine Postkarte an den Verlag, und dann kam nach einer Woche die Meldung: Ihr Titel ist vergriffen. Und der Kunde, der es dringend brauchte, war dann enttäuscht, oder es fiel sogar ein Konzert ins Wasser."

Im Gegensatz zu der Promotionsabteilung des Verlags, der die Kontakte mit den Veranstaltern pflegt und hauptsächlich mit Leihmaterial arbeitet, hat der Verlagsvertreter ausschließlich mit dem sogenannten Papiergeschäft zu tun: mit gedruckten und gebundenen Partituren, Kammermusikausgaben und Editionen für Haus- und Schulmusik. Die Nachfrage in diesen Bereichen, sagt Klaus Gerhards, ist bislang nicht dramatisch zurück gegangen, obwohl die Schulen überall ihre Mittel für Ankäufe kürzen mussten. Der Geschäftsgang bildet nach seinem Eindruck mehr ein langfristiges Auf- und Ab in flachen Kurven und immer wieder kommen neue Produkte auf den Markt, die sich gut verkaufen. Besonders gefragt sind alle Arten von Verbundmedien, etwa Noten plus CD:

"Tonträger als Einzelprodukt laufen so gut wie gar nicht, aber in Verbindung mit Noten schon. Oder auch, was seit einigen Jahren besonders beliebt ist, jene Art von Spielliteratur, bei der zum Beispiel das Klavier weggelassen wird. Der Spieler, egal auf welchem technischen Stand er sich bewegt, kann sich dann von einem Klavier oder einem Ensemble im Jazz-Pop-Bereich begleiten lassen. Oder, das ist allerdings seltener, von einem Sinfonieorchester."

Verkaufseditionen mit klassischer Kammermusik haben es dagegen spürbar schwerer. Hier scheint sich langfristig eine Umorientierung unter der musizierenden Bevölkerung zu vollziehen, vermutet Gerhards:

"In Leipzig fragte ich den Händler einer großen Musikalienhandlung: Mein Gott, bei Ihnen muss es doch Streichquartette geben. Leipzig ist doch eine Musikstadt, es gibt den Rundfunk, das Gewandhausorchester – Leipzig als altes Zentrum der Buch- und Notenverlage muss doch noch einen gewissen Fond an Amateurmusikern haben, die zum Beispiel Streichquartette spielen. Und da sagte er mir, er kenne ein einziges, das sich für neue Ausgaben interessiere."

Ein leidiges Kapitel für die Musikverlage ist die Chorliteratur. Das ist der Bereich, in dem am meisten und mit verhängnisvollen Folgen illegal kopiert worden ist. Viele Verlage haben die Pflege des Chormusik-Repertoires deshalb drastisch reduziert. Es lohnt sich einfach nicht mehr, wie auch Leonhard Scheuch konstatiert.

"Wir können gar nicht abschätzen, wie viel –zigtausend Euro uns da verloren gehen. Aber wir haben einfach gelernt, damit zu leben. Im Chorbereich sind wir sehr vorsichtig mit Probenpartituren zur Ansicht. Aber bei uns im Verlagswesen, im Papiergeschäft, ist das ja noch lange nicht ein solches Problem wie heute im CD-Bereich. Das tangiert uns nicht in dieser Weise."

Chöre sind ganz gefürchtet, das weiß auch Klaus Gerhards.

"Es wird ein Notenblatt verkauft vom Händler, und am Konzertabend vier Wochen später stehen dann 120 Sänger mit Kopien auf der Bühne und singen daraus. Ich habe kein Rezept, wie man das ändern könnte. Aber vielleicht gibt es da Möglichkeiten, den Chören wenigstens Angst zu machen, so dass sie sich dann doch überlegen, ob sie sich Konventionalstrafen in nicht unbeträchtlicher Höhe einhandeln, wenn sie einen offenen Rechtsbruch begehen."

Die Veranstalterperspektive

Das sogenannte Papiergeschäft ist ein wichtiges Standbein des Musikverlags. Das andere ist die Vermietung von Aufführungsmaterial an die Veranstalter. An der öffentlichen Wiedergabe im Konzert oder in den Medien hängen wiederum oft sehr lukrative Rechte, die diesen Bereich zum großen Geschäft werden lassen. Das betrifft vor allem Aufführungen im Rahmen großer Festivals oder Medienereignisse. Das weltweit im Fernsehen übertragene Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist zum Beispiel nicht nur eine Bonanza für Dirigent und Orchester, sondern auch für die Verlage. Und ein Klassikfestival wie die Salzburger Festspiele, traditionell ein Treffpunkt von großer Kunst und großem Geld, eröffnet bei urheberrechtlich geschützten Werken auch dem Verlag und dem Komponisten respektive dessen Rechtsnachfolger brillante Perspektiven. 

Bei den Mittelkürzungen für öffentliche Veranstalter ist seitens der Sinfonieorchester und Opernhäuser manchmal das Argument zu hören, Werke des 20. Jahrhunderts könnten nicht mehr so häufig gespielt werden, weil die Tantiemen für die bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützten Werke das knappe Budget zu stark belasteten. Frage an Peter Ruzicka, den künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele: Könnte es auch einem großen Veranstalter passieren, dass die Aufführung eines geschützten Werks durch hohe Verlagsforderungen gefährdet würde?

Im Bereich des großen Rechts – das ist das Recht der Aufführung von Bühnenwerken, wo keine standardisierten Tarife der Gema vorliegen, sondern wo sie individuell mit dem Verleger ausgehandelt werden – gibt es manchmal schon Diskussionen über die Höhe der Vergütungssätze. Auch da sind zwar Regelsammlungen bekannt, das heißt Aufstellungen über die Üblichkeit einer Vergütung. Aber es kann durchaus sein, dass man bei Uraufführungen in einen Streit gerät, ob ein Zuschlag von 100 oder 200 Prozent wirklich angemessen ist. Ansonsten kann es selbst bei Werken der Standardliteratur, ich denke da etwa an die Opern Richard Strauss’, um ganz erhebliche Beträge gehen.
Ich nenne einfach einmal so einen Betrag: Wir haben für die Aufführungen des Rosenkavalier im vergangenen Jahr (2004) in Salzburg Tantiemen in einer Größenordnung von 400.000 Euro an den Verlag bezahlt, eigentlich nur für die Zurverfügungstellung eines Materials, das man dem Orchester vorgelegt hat. Es wird also eigentlich Papier vermietet, und das löst eine solche Vergütungssumme aus. Das ist natürlich ein beachtlicher Kostenfaktor, selbst bei Institutionen wie den Salzburger Festspielen, und muss bedacht werden in der Gesamtkalkulation.
Es kann also durchaus sein, dass man einmal in ein Jahr geraten könnte, in dem man es sich zweimal überlegt, ein so teures Werk zu spielen, oder es nur spielt, wenn daneben ein bis zwei nicht mehr geschützte Werke stehen, die dann keine Tantiemenpflicht auslösen.

Die Summe von 400.000 Euro für die Verlagsrechte einer Aufführungsserie des Rosenkavalier ist erstaunlich. Sie ist aber vollkommen rechtmäßig zusammengekommen und überdies für  jedermann leicht nachprüfbar. Laut Übereinkunft zwischen Verlegerverband und Opernhäusern sind beim „großen Recht“, also bei szenischen Produktionen, 13-14 % der Abendeinnahmen als Tantieme abzuführen. Eine simple Dreisatzrechnung ergibt: Bei einem Ansatz von 14 % Tantieme betragen die Gesamteinnahmen aller neun Aufführungen rund 2,8 Millionen Euro. Eine approximative Gegenrechnung bestätigt das: Bei 2100 verkauften Plätzen im großen Festspielhaus und Spitzenpreisen von 360 Euro pro Platz kommt diese Summe tatsächlich zusammen. Das macht den Unterschied von Salzburg zu einem Provinzopernhaus aus, das weniger Plätze hat und viel geringere Preise nehmen muss. Und das erklärt auch, warum alle Medienunternehmen – nicht nur Verlage – sich in Salzburg so vehement ins Geschäft drängen.

Bei den 400.000 Euro für den Rosenkavalier, die sich Verlag und Erben der Urheber untereinander aufteilen, ist es übrigens 2004 nicht geblieben. Diese Aufführung ist vom Fernsehen aufgezeichnet worden und hat dann eine weitere Tantiemenforderung ausgelöst, die allerdings vom aufzeichnenden Sender, es war in dem Fall der ORF, bezahlt worden ist.

Peter Ruzicka, der nicht nur Musik, sondern auch Jura studiert hat und sich infolgedessen in solchen Dingen gut auskennt, weist noch auf eine weitere, vertraglich geregelte Besonderheit im Verhältnis von Verlegern und Veranstaltern, in diesem Fall dem Rundfunk, hin. Im Rundfunk müssen bei jeder Wiederholung einer Eigenaufnahme mit gemietetem Material erneut Gebühren an den Verlag entrichtet werden:

"Mir ist nur bekannt, dass es bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine gewisse Tendenz gibt, vorsichtig vor solchen nachfolgenden Sendungen eines Live-Mitschnittes zu sein, weil dann jede Sendung wieder eine Materialmietgebühr auslöst. Würde man dasselbe Stück allein vom Tonträger, also von der Schallplatte aus spielen, dann entfiele dieser Kostenfaktor. Deshalb kann gelegentlich der paradoxe Fall beobachtet werden, dass eine Sendeanstalt ein Werk sendet, das in Koproduktion mit einer Plattenfirma entstanden ist. Sie sendet aber nicht ihren eigenen Tonträger, der im Hause ist und den sie selbst aufgenommen hat, sondern sie legt eine CD auf und spart auf diese Weise die Materialmietgebühr.
Das sind Erscheinungen, die sicher nicht erfreulich sind, weil sie völlig abgehen von der  jahrzehntelangen Praxis, letztlich auch den Urheber benachteiligen, der auf diese Weise nicht in den Genuss einer solchen Folgevergütung kommt. Aber es sind Maßnahmen, die wohl unabweisbar dann sind, gerade bei den Rundfunkanstalten, wenn die Ressourcen schwinden, weil die Gebühren nicht in ausreichendem Maße erhöht werden." 

Zieht man derartig fein verästelte, lange gewachsene vertragliche Regelungen in Betracht, so erhalten die gegenwärtig in den Rundfunkanstalten kursierenden Gedankenspiele über den Abbau der Orchester eine zusätzliche Brisanz. Am öffentlichen Rundfunk als Kulturproduzent hängen zahlreiche Unternehmen wie eben die Musikverlage, bei denen der Wegfall dieser Produktionsmöglichkeiten unmittelbar auf die Bilanz durchschlagen würde. 

Zukunftsaussichten bewölkt?

Doch gibt es zur Zeit etwa gar keine Krise des Musikverlagswesens? Ist das eine Branche, die entgegen dem allgemeinen Trend sogar floriert? Jeder Verleger würde das bestreiten, gehört doch  heute in der Wirtschaft Pessimismus zum guten Ton.

Doch andererseits ist nicht zu übersehen, dass sich in den blühenden Verlagslandschaften einige gefährliche Risse auftun. Mit der Vernachlässigung des Musikunterrichts an den Schulen geht nicht nur der Verkauf von Unterrichtsmaterial zurück, sondern es gibt auf Dauer auch weniger Laienmusiker und Konzertbesucher. Die Zahl der kleinen und mittleren Konzertveranstalter und Opernhäuser wird in absehbarer Zeit ohnehin  schrumpfen, und mit ihnen die Einnahmen aus Materialmietgebühr und Tantiemen. Salzburg ist eben nicht überall.

Ein anderes Problem ist die vom breiten Publikum ungeliebte neue Musik. Auf sie kann der Verlag nicht verzichten, obwohl sie eine ebenso teure wie unsichere Investition darstellt. Sie ist das Kapital für die Zukunft. Die Frage stellt sich also für den Verlag, welche Komponisten und Werke "überleben" werden. Denn eines Tages werden die Rechte für Strauss, Schönberg, Orff & Co. abgelaufen sein, und es braucht neue Dauerbrenner für Salzburg, Wien, New York und vielleicht bald auch einmal Shanghai.

Doch wo sind sie zu finden? Bei den heutigen großen Namen der Avantgarde? So einfach ist das nicht mehr. Ein so prominenter Autor wie Karlheinz Stockhausen hat viele seiner Werke vom  Verlag, der Wiener Universal Edition, zurückgekauft und betreut sie nun in seinem eigenen Familienunternehmen in Kürten – ein eindeutiger Misstrauenbeweis gegenüber dem klassischen Musikverlagswesen.

Sollte die Kluft zwischen zeitgenössischer Musik und Publikum sich weiter öffnen und obendrein das Beispiel Stockhausens unter den Komponisten Schule machen, dann bliebe den Verlagen künftig nur noch übrig, die Vergangenheit zu verwalten. Es sei denn, sie setzten auf das heute leicht Gängige in der Hoffnung, dass es das auch in Zukunft bleibe. Doch nichts ist bekanntlich so vergänglich wie der Trend. Dann bliebe am Schluss doch nur der Rückgriff auf Strauss, Verdi und Mozart. Dann aber leider ohne saftige Tantiemen.

© 2005, Max Nyffeler

Printversion einer Rundfunksendung unter dem Titel Gedruckte Noten unter Druck (WDR 3, 10.2.2005).

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