Händler, Helden, TantiemenDie Musikverlage im Zeitalter von Computer und Internet. Versuch einer BestandesaufnahmeDie Komponisten und ihre Verleger: Eine Jahrhunderte alte Beziehung zwischen ungleichen Partnern, mit Höhen und Tiefen, Erfolgsgeschichten und Krisen, Lobgesängen und üblen Nachreden. In seinem karikierenden Liederzyklus Krämerspiegel nach Texten von Alfred Kerr hat Richard Strauss den Verleger als „Händler und Macher“ apostrophiert, der in den Augen des Komponisten nur eines im Sinn hat: Geld und nochmals Geld. Er erscheint als der Widersacher des wackeren Komponisten des „Helden“, wie es darin in selbstgefälliger Anspielung auf Straussens Tondichtung Ein Heldenleben heißt. Ein heutiger Komponist hat es nach einigen negativen Erfahrungen auch anders formuliert, darwinistischer: „Der Verleger ist der natürliche Feind des Komponisten.“ Doch gemach: So einfach sind die Feindbilder dann doch nicht zu haben. Das Verhältnis von Musik und Geschäft, von Komponist und Verleger, ist zweifellos etwas komplexer und lässt sich nicht auf den unversöhnlichen Interessengegensatz von Geld und Geist reduzieren. Das lassen bei aller Satire auch die Lieder von Strauss und Kerr durchblicken. Hinter allen bösen Wortspielen vom Bock, der als Bote beim Künstler an die Tür klopft, den Geschichten von Streckern und Geldsackpflegern oder dem nationalistisch gefärbten Stoßseufzer aus dem Jahr 1918: "Unser Feind ist, großer Gott, wie der Brite so der Schott", steckt auch stets eine Portion altväterischer Humorigkeit. Denn auch ein Strauss wusste natürlich, was er an seinem Verleger hatte, genau so wie es heute ein Boulez, ein Henze oder Ligeti weiß. Handelt der Verleger doch u.a. bei Bühnenwerken die Tantiemen mit dem Veranstalter aus, die er sich dann mit dem Autor teilt; und dazu braucht es ein gewisses Verhandlungsgeschick. Beide sitzen also gleichsam in einem Boot und müssen, trotz gelegentlich unterschiedlicher Interessen, miteinander rudern. Dem einen geht es primär um Kunst, dem andern primär ums Geschäft. Aber derjenige, dem es um Kunst geht, will mit ihr ja auch in die Öffentlichkeit, und das heißt nun einmal: ins Geschäft kommen. Und derjenige, der das Geschäft betreibt, identifiziert sich in der Regel auch mit der Kunst, die er produziert. Sonst würde er nämlich eher mit Schrauben oder Plastiktöpfen handeln. Und so vertragen sich beide unter bestimmten Bedingungen. Das heißt sie schließen einen Vertrag ab. Ein solches Vertragsverhältnis gibt beiden gewisse Rechte und Pflichten, und auf diese Weise sind manche Komponisten und Verleger lange Wegstrecken zusammen gegangen wie ein altgedientes Ehepaar. Kleiner historischer RückblickDoch was macht eigentlich ein Verleger, außer Geld für sich und den Komponisten zu kassieren? Ein alter Musikerwitz lautet: Er verlegt die Partitur, so dass sie nachher keiner mehr findet. Aber das alte Wort „Verlegen“ hat etwas mit „Auslegen“ und „Vorlegen“ zu tun Geld für etwas anderes hingeben. Das heißt: Es wird vorgestreckt für ein Produkt, aus dem man, wenn es sich denn verkauft, die Investition samt einem guten Gewinn wieder herausziehen kann. Ein urkapitalistisches Prinzip, und die Einrichtung des Musikverlags als Handel mit gedruckten Noten ist denn auch in der Frühzeit des Kapitalismus entstanden, etwa gleichzeitig mit dem Buchdruck. Als erster Musikverleger gilt gemeinhin der Venezianer Ottaviano Petrucci, der Erfinder des Notendrucks mit beweglichen Typen. Um 1501 veröffentlichte er unter dem Titel Harmonice Musices Odhecaton seinen ersten Notendruck, eine Sammlung von Chansons prominenter Komponisten im mehrstimmigen Satz. Es erschienen rasch hintereinander zwei weitere Folgen. Das Odhecaton war für das Venedig des frühen 16. Jahrhunderts das, was über 400 Jahre später die Sheet Music, die gefalteten Notenblätter mit Film- und Musicalmelodien, für den Broadway waren: Stoff für spielfreudige Amateure und ein Verkaufserfolg für den Verleger. Zu Zeiten des Venezianers Petrucci handelte der Verleger auf eigene Rechnung und war dem Komponisten nichts schuldig. Petrucci nannte in seinem Odhecaton nicht einmal die Namen der Autoren. Doch seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich das gewandelt, zumindest in den Industrieländern. Das Urheberrecht wurde gesetzlich verankert und es wurden Verwertungsgesellschaften wie die Gema gegründet mit dem Ziel, auf einem schnell expandierenden Markt die Rechte der Autoren zu wahren und auf Aufführungen in Konzertsaal, Radio, Film und Schallplatten eine Urheberrechtsabgabe oder Tantieme zu erheben. Seither befindet sich der Verleger in einem Spannungsfeld vielfältiger Interessen. Die wichtigsten Größen in diesem Kräftevieleck sind einerseits der Komponist oder Urheber, andererseits der Veranstalter, die Medien und der Musikalienhändler. Der Verleger steht dazwischen. Er erwirbt sich die Rechte am Musikwerk und handelt damit in Form von Noten oder Lizenzen, die er an die Abnehmer verkauft. Den Gewinn teilt er sich mit dem Komponisten. Am Schluss jeder Verwertungskette steht natürlich der musikfreundliche Konsument, sei es als Konzertbesucher, Mediennutzer oder Notenkäufer. Da ein Musikstück bis siebzig Jahre nach dem Tod seines Autors rechtlich geschützt ist und man heute zu jeder Tag- und Nachtzeit und in allen Lebenslagen von Lautsprechermusik umgeben ist, wird schnell klar: Mit Musikverlegen lässt sich eine Menge Geld verdienen. Wie alle andern Wirtschaftszweige befindet sich das Musikverlagswesen heute in einem tiefgreifenden Wandel, bedingt durch Globalisierung und neue Technologien. Doch während in der Tonträgerindustrie in den letzten Jahren die Hiobsbotschaften über dramatische Umsatzeinbußen nicht abrissen, blieb es in den Reihen der Musikverleger verhältnismäßig ruhig. Die Traditionsverlage der „Ernsten Musik“ sind vermutlich spätestens 1994 aus ihrer trügerischen Sicherheit aufgeschreckt worden. Damals wurde das große italienische Verlagshaus Ricordi über Nacht vom Medienmulti Bertelsmann geschluckt; seine in zwei Jahrhunderten aufgebaute Identität hat es heute weitgehend verloren. Die Konkurrenz hat sich seither verstärkt fit gemacht für den verschärften Wettbewerb unter den Bedingungen der Globalisierung. Die großen und symbolstarken Pleiten, die es in andern Wirtschaftsbereichen gibt, sind hier somit ausgeblieben. Der Verleger: Blick nach vorneIm Deutschen Musikverleger-Verband sind rund 570 Musikverlage zusammengeschlossen; das entspricht einer Organisationsdichte von etwa 90 Prozent. Sie erwirtschaften einen Gesamtumsatz von mehr als 400 Millionen Euro pro Jahr. Der Verband wurde 1829, im Jahr der Wiederentdeckung der Matthäus-Passion durch Mendelssohn, gegründet und konnte 2004 sein 175-jähriges Bestehen feiern. Er ist Sprachrohr der Verleger in der Öffentlichkeit, Lobby zur Politik und hat in der Musikwirtschaft ein wichtiges Wort mitzureden. Die alten Traditionsunternehmen wie Schott, Universal, Breitkopf & Härtel oder Bärenreiter sind so etwas wie die Flaggschiffe des Verbands. Das Kopiertrauma, unter dem die Tonträgerfirmen heute leiden, haben sie schon vor 20, 30 Jahren mit dem Fotokopieren erlebt. Sie haben es erfolgreich überstanden. Und heute sehen manche sogar verhalten optimistisch in die Zukunft. Leonhard Scheuch, Geschäftsführer des Bärenreiter Verlags Kassel:
Der Bärenreiter-Verlag gehört zu den jüngeren unter den deutschen Traditionsverlagen. Gegründet 1923 von Karl Vötterle, schuf er sich zunächst eine Basis mit Volkslied und Barockmusik und stieg nach dem 2. Weltkrieg groß in das Geschäft mit wissenschaftlichen Gesamtausgaben ein. Zu seinem anspruchsvollen Programm im Bereich der Notenedition gehören Großprojekte wie die Neue Schütz-Edition, die Neue Mozart-Ausgabe oder die kritische Händel-Gesamtausgabe. Die kritischen Werk-Editionen kann der Verlag nur herausbringen, weil die wissenschaftliche Arbeit über Forschungsgelder subventioniert wird, wie Scheuch erläutert:
Doch einmal im internationalen Markt verankert, sind die Gesamtausgaben ein solider Pfeiler des Verlagsgeschäfts:
Diese Art der Finanzierung das Alte trägt das Neue, womit eine Jahrhunderte übergreifende Verwertungskette entsteht war bisher ein normales Verfahren bei den E-Musik-Verlagen. Doch es scheint, dass dieses bewährte Prinzip gegenwärtig gefährdet ist. In den letzten Jahren sind die Herstellungskosten enorm in die Höhe geschossen, bedingt durch den aufwendigeren Computersatz und die gestiegenen Ansprüche auf Seiten der Kunden. Das betrifft nicht nur die neuen Partituren, sondern auch die Pflege des sogenannten Altkatalogs, sagt Bernhard Pfau, einer der Verantwortlichen für Promotion beim Verlag Schott in Mainz.
Und diese wirtschaftliche Diskussion dreht sich vor allem um die Herstellungskosten. Jede Orchester- oder Ensembleaufführung benötigt ein sogenanntes Aufführungsmaterial die Noten, die jedem einzelnen Musiker aufs Notenpult gelegt und meist vom Verlag vermietet werden. Der allgemeine Trend geht heute in die Richtung, dass vom Komponisten erwartet wird, dass er dieses Aufführungsmaterial dem Verlag in digitalisierter Form, als Computersatz, zur Verfügung stellt auf eigene Kosten, versteht sich. Leonhard Scheuch:
Die Sicht eines KomponistenGerhard Stäbler ist seit über zwei Jahrzehnten mit seinen Werken im Musikbetrieb präsent, mit sehr vielen kleinen Besetzungen, mit größeren konzertanten Stücken und einigen Musiktheaterwerken. Was erwartet Stäbler von einem Musikverlag?
Wunsch und Realität klaffen nicht selten gewaltig auseinander. Den Ansprüchen eines Komponisten kann ein Verlag nur in wenigen Fällen nachkommen es sind zu viele Namen im Katalog, und manchmal hapert es an der Herstellungsqualität, manchmal an den Kapazitäten für die nötige Öffentlichkeitsarbeit. Schlimmstenfalls an beidem. Viele Komponisten, gerade auch jüngere, versuchen deshalb, ihre Werke allein oder als Mitglieder einer kleinen Produktions- oder Vertriebsgemeinschaft in die Öffentlichkeit zu bringen. Stäbler hat den Vorteil, dass er beides machen kann. Größere Werke, bei denen umfangreiche Materialien herzustellen sind, überlässt er dem Verlag Ricordi, wo er unter Vertrag ist; Kammermusikwerke, improvisatorische und konzeptuelle Arbeiten produziert er im Eigenverlag und bietet sie bei Bedarf über das Internet an.
Ein solches Stück ist zum Beispiel Stäblers Rachengold, eine Soloperformance, die im abgedunkelten Saal stattfinden soll. Das Stück ist nach seinen eigenen Worten in einer "geheimen Partitur" notiert. Einen Verlag, der mit greifbaren Partituren zu handeln pflegt, motiviert das nun nicht gerade zum verlegerischen Handeln. Der Kommentar von Bernhard Pfau:
Für die kleineren Werke, die Konzept- und Performance-Stücke hat Stäbler einen Eigenverlag unter dem Titel Earport gegründet, und der funktioniert praktisch als Einpersonen-Unternehmen. Sein Aktionsfeld ist vorwiegend das Internet.
Der Name "Copy us" klingt in den Ohren eines traditionellen Verlags vermutlich wie unternehmerisches Harakiri, handelt es sich hier doch um die direkte Aufforderung zum Überschreiten des Kopierverbots. "Copy us" ist ein Internet-Verlag, der auf seiner Homepage mit süffigen Werbesprüchen wie „Don’t pay, just play“ für sich wirbt. Er stellt nicht nur Kataloge und Bestellformulare, sondern die Noten selbst im pdf-Format zum Herunterladen bereit. Man kann jedoch auch gegen Bezahlung eine gebundene Version bestellen, die einem dann per Post zugeschickt wird. Die im niederrheinischen Kleve beheimatete Verlags-GmbH hat bereits über dreihundert Werke im Angebot, von Heinrich Schütz bis zu Zeitgenossen. Um den Service komplett zu machen, gibt es bei vielen Stücken sogar kurze Ausschnitte als mp3-Files herunterzuladen. Hinter einer solchen Selbsthilfe-Initiative steht eine einfache ökonomische Einsicht: Dass sich nämlich der physische Vertrieb und Verkauf von kleineren Partituren nicht mehr lohnt, und dass es vorteilhafter ist, zunächst einmal den Datenträger für jedermann gratis zur Ansicht freizugeben. Einnahmen stellen sich dann aus den Rechten einer eventuellen Aufführung ein. Diese käme meist gar nicht zustande, wenn ein Musiker oder Veranstalter sich schon die Ansichtspartitur gegen hohe Versandspesen besorgen müsste. Erfahrungen eines VerlagsvertretersKaum ein Verlagsmitarbeiter hat einen so präzisen Einblick in die Kundenbedürfnisse und wünsche wie der Verlagsvertreter. Er ist der Verbindungsmann zwischen dem Verlag und dem Musikalienhändler vor Ort, der wiederum im direkten Kontakt mit dem Endkunden steht. Der Verlagsvertreter besucht den Händler ein bis zweimal im Jahr und präsentiert ihm Novitäten und interessante Titel aus der Backlist.
Im Gegensatz zu der Promotionsabteilung des Verlags, der die Kontakte mit den Veranstaltern pflegt und hauptsächlich mit Leihmaterial arbeitet, hat der Verlagsvertreter ausschließlich mit dem sogenannten Papiergeschäft zu tun: mit gedruckten und gebundenen Partituren, Kammermusikausgaben und Editionen für Haus- und Schulmusik. Die Nachfrage in diesen Bereichen, sagt Klaus Gerhards, ist bislang nicht dramatisch zurück gegangen, obwohl die Schulen überall ihre Mittel für Ankäufe kürzen mussten. Der Geschäftsgang bildet nach seinem Eindruck mehr ein langfristiges Auf- und Ab in flachen Kurven und immer wieder kommen neue Produkte auf den Markt, die sich gut verkaufen. Besonders gefragt sind alle Arten von Verbundmedien, etwa Noten plus CD:
Verkaufseditionen mit klassischer Kammermusik haben es dagegen spürbar schwerer. Hier scheint sich langfristig eine Umorientierung unter der musizierenden Bevölkerung zu vollziehen, vermutet Gerhards:
Ein leidiges Kapitel für die Musikverlage ist die Chorliteratur. Das ist der Bereich, in dem am meisten und mit verhängnisvollen Folgen illegal kopiert worden ist. Viele Verlage haben die Pflege des Chormusik-Repertoires deshalb drastisch reduziert. Es lohnt sich einfach nicht mehr, wie auch Leonhard Scheuch konstatiert.
Chöre sind ganz gefürchtet, das weiß auch Klaus Gerhards.
Die VeranstalterperspektiveDas sogenannte Papiergeschäft ist ein wichtiges Standbein des Musikverlags. Das andere ist die Vermietung von Aufführungsmaterial an die Veranstalter. An der öffentlichen Wiedergabe im Konzert oder in den Medien hängen wiederum oft sehr lukrative Rechte, die diesen Bereich zum großen Geschäft werden lassen. Das betrifft vor allem Aufführungen im Rahmen großer Festivals oder Medienereignisse. Das weltweit im Fernsehen übertragene Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist zum Beispiel nicht nur eine Bonanza für Dirigent und Orchester, sondern auch für die Verlage. Und ein Klassikfestival wie die Salzburger Festspiele, traditionell ein Treffpunkt von großer Kunst und großem Geld, eröffnet bei urheberrechtlich geschützten Werken auch dem Verlag und dem Komponisten respektive dessen Rechtsnachfolger brillante Perspektiven. Bei den Mittelkürzungen für öffentliche Veranstalter ist seitens der Sinfonieorchester und Opernhäuser manchmal das Argument zu hören, Werke des 20. Jahrhunderts könnten nicht mehr so häufig gespielt werden, weil die Tantiemen für die bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors geschützten Werke das knappe Budget zu stark belasteten. Frage an Peter Ruzicka, den künstlerischen Leiter der Salzburger Festspiele: Könnte es auch einem großen Veranstalter passieren, dass die Aufführung eines geschützten Werks durch hohe Verlagsforderungen gefährdet würde?
Die Summe von 400.000 Euro für die Verlagsrechte einer Aufführungsserie des Rosenkavalier ist erstaunlich. Sie ist aber vollkommen rechtmäßig zusammengekommen und überdies für jedermann leicht nachprüfbar. Laut Übereinkunft zwischen Verlegerverband und Opernhäusern sind beim „großen Recht“, also bei szenischen Produktionen, 13-14 % der Abendeinnahmen als Tantieme abzuführen. Eine simple Dreisatzrechnung ergibt: Bei einem Ansatz von 14 % Tantieme betragen die Gesamteinnahmen aller neun Aufführungen rund 2,8 Millionen Euro. Eine approximative Gegenrechnung bestätigt das: Bei 2100 verkauften Plätzen im großen Festspielhaus und Spitzenpreisen von 360 Euro pro Platz kommt diese Summe tatsächlich zusammen. Das macht den Unterschied von Salzburg zu einem Provinzopernhaus aus, das weniger Plätze hat und viel geringere Preise nehmen muss. Und das erklärt auch, warum alle Medienunternehmen nicht nur Verlage sich in Salzburg so vehement ins Geschäft drängen. Bei den 400.000 Euro für den Rosenkavalier, die sich Verlag und Erben der Urheber untereinander aufteilen, ist es übrigens 2004 nicht geblieben. Diese Aufführung ist vom Fernsehen aufgezeichnet worden und hat dann eine weitere Tantiemenforderung ausgelöst, die allerdings vom aufzeichnenden Sender, es war in dem Fall der ORF, bezahlt worden ist. Peter Ruzicka, der nicht nur Musik, sondern auch Jura studiert hat und sich infolgedessen in solchen Dingen gut auskennt, weist noch auf eine weitere, vertraglich geregelte Besonderheit im Verhältnis von Verlegern und Veranstaltern, in diesem Fall dem Rundfunk, hin. Im Rundfunk müssen bei jeder Wiederholung einer Eigenaufnahme mit gemietetem Material erneut Gebühren an den Verlag entrichtet werden:
Zieht man derartig fein verästelte, lange gewachsene vertragliche Regelungen in Betracht, so erhalten die gegenwärtig in den Rundfunkanstalten kursierenden Gedankenspiele über den Abbau der Orchester eine zusätzliche Brisanz. Am öffentlichen Rundfunk als Kulturproduzent hängen zahlreiche Unternehmen wie eben die Musikverlage, bei denen der Wegfall dieser Produktionsmöglichkeiten unmittelbar auf die Bilanz durchschlagen würde. Zukunftsaussichten bewölkt?Doch gibt es zur Zeit etwa gar keine Krise des Musikverlagswesens? Ist das eine Branche, die entgegen dem allgemeinen Trend sogar floriert? Jeder Verleger würde das bestreiten, gehört doch heute in der Wirtschaft Pessimismus zum guten Ton. Doch andererseits ist nicht zu übersehen, dass sich in den blühenden Verlagslandschaften einige gefährliche Risse auftun. Mit der Vernachlässigung des Musikunterrichts an den Schulen geht nicht nur der Verkauf von Unterrichtsmaterial zurück, sondern es gibt auf Dauer auch weniger Laienmusiker und Konzertbesucher. Die Zahl der kleinen und mittleren Konzertveranstalter und Opernhäuser wird in absehbarer Zeit ohnehin schrumpfen, und mit ihnen die Einnahmen aus Materialmietgebühr und Tantiemen. Salzburg ist eben nicht überall. Ein anderes Problem ist die vom breiten Publikum ungeliebte neue Musik. Auf sie kann der Verlag nicht verzichten, obwohl sie eine ebenso teure wie unsichere Investition darstellt. Sie ist das Kapital für die Zukunft. Die Frage stellt sich also für den Verlag, welche Komponisten und Werke "überleben" werden. Denn eines Tages werden die Rechte für Strauss, Schönberg, Orff & Co. abgelaufen sein, und es braucht neue Dauerbrenner für Salzburg, Wien, New York und vielleicht bald auch einmal Shanghai. Doch wo sind sie zu finden? Bei den heutigen großen Namen der Avantgarde? So einfach ist das nicht mehr. Ein so prominenter Autor wie Karlheinz Stockhausen hat viele seiner Werke vom Verlag, der Wiener Universal Edition, zurückgekauft und betreut sie nun in seinem eigenen Familienunternehmen in Kürten ein eindeutiger Misstrauenbeweis gegenüber dem klassischen Musikverlagswesen. Sollte die Kluft zwischen zeitgenössischer Musik und Publikum sich weiter öffnen und obendrein das Beispiel Stockhausens unter den Komponisten Schule machen, dann bliebe den Verlagen künftig nur noch übrig, die Vergangenheit zu verwalten. Es sei denn, sie setzten auf das heute leicht Gängige in der Hoffnung, dass es das auch in Zukunft bleibe. Doch nichts ist bekanntlich so vergänglich wie der Trend. Dann bliebe am Schluss doch nur der Rückgriff auf Strauss, Verdi und Mozart. Dann aber leider ohne saftige Tantiemen. © 2005, Max Nyffeler Printversion einer Rundfunksendung unter dem Titel Gedruckte Noten unter Druck (WDR 3, 10.2.2005). Themen Inhalt
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