Monteverdi aus Zürich, Mozart aus DrottningholmDie legendären Aufführungen von Ponnelle/Harnoncourt und Östman nun auf DVDEiner der vielen Vorteile der DVD ist ihre Eigenschaft als Dokumentationsmedium für das Musiktheater. Besonders nützlich kann das bei älteren Produktionen sein, die man heute vielfach nur vom Hörensagen kennt. Auf CD gibt es zwar inzwischen Mengen von historischen Aufnahmen, aber diese dokumentieren ein Werk eben nur musikalisch und nicht in seiner szenischen Gesamtheit. Dabei sind die szenischen Aspekte aufführungsgeschichtlich ebenso bedeutsam wie die musikalischen. Zwei Neuerscheinungen ermöglichen hier nun einen aufschlussreichen Blick zurück auf zwei Schauplätze der sogenannten historischen Aufführungspraxis in der Oper: Eine Serie mit sechs Bühnenwerken Mozart aus dem Hoftheater in Schloss Drottningholm bei Stockholm, das in den achtziger Jahren mit Aufführungen im Originalambiente des 18. Jahrhunderts unter der Leitung von Arnold Östman von sich reden machte, und eine Dreierbox mit dem legendären Monteverdi-Zyklus am Opernhaus Zürich mit Nikolaus Harnonocurt und Jean-Pierre Ponnelle aus den siebziger Jahren. Zürich: Ponnelles modellhafte Inzenierungen
Gegenüber der Klarheit und Stringenz der musikalischen Interpretation wirkt die visuelle Opulenz der Bühne manchmal allzu kulinarisch. Vor allem die Kostüme von Pet Halmen tragen dick auf. Die stilistische Verankerung des Bühnengeschehens in der Zeit Monteverdis, also im frühen Barock, ist dem Regisseur und Bühnenbildner Jean-Pierre Ponnelle einerseits genial gelungen, andererseits fördert das die Tendenz zum gediegenen Pomp. Dazu kommt, etwa in der Bukolik des ersten Akts von Orfeo, gelegentlich eine zuckerige Heiterkeit, die aufgesetzt wirkt. Die mythologischen Erscheinungen Götter, Unterweltgestalten, Ungeheuer bringt Ponnelle mit ungebrochenem Glauben an den Bühnenrealismus zur Darstellung. Doch die Erzählung funktioniert. Der Prolog zu Ulisse oder die Dialoge zwischen Neptun und Jupiter sind großes Welttheater, von der Filmregie mit signifikanten Einstellungen festgehalten. Die großen Stärken von Ponnelles Inszenierung liegen vor allem in der genauen Beobachtung der inneren Dramatik der Figuren, wo es immer wieder zu packenden, ganz aus der Musik heraus gestalteten Szenen kommt, und dann in der Bühnenarchitektur. Diese ist in allen drei Opern einheitlich angelegt: Ein barock-antikisierender Innenraum, im Hintergrund eine breite Treppe zu einem erhöhtem Portal ins Freie, das als Auftrittsort oder perspektivischer Durchblick dient; dazu seitliche Galerien, auf denen bei Bedarf auch Choristen oder Musiker auftreten. Die Trennung zwischen Bühne und hochgefahrenem Orchestergraben wird aufgehoben, indem die Musiker auf die Bühne steigen oder die Sänger aus dem Orchesterraum auftreten. Ponnelles Inszenierungen aus den siebziger Jahren sind unberührt vom sogenannten Regietheater, was ihre Überzeugungskraft trotz einiger zeitbedingter Schwächen keineswegs schmälert. Von der Tonqualität her sind die Aufnahmen tadellos. In der Videoregie verzichtet Ponnelle auf alle Mätzchen; die Psychologie der Figuren verdeutlicht er mit Nahaufnahmen und einer lebhaften Schnittechnik, die die Bühnenperspektive immer wieder bricht. Auch wenn Ponnelles Ästhetik aus heutiger Sicht selbst bereits „historisch“ wirkt: Sie ist in sich stimmig und trifft den Kern der Werke mit stupender Genauigkeit. Das Modellhafte, das an diesem Monteverdi-Zyklus im Hinblick auf die Musik immer wieder gerühmt worden ist, kann durchaus auch für die szenische Seite reklamiert werden. Drottningholm: Der Reiz des Barocktheaters
Originalklang und spontanes Musizierens zeichnen Östmans Interpretationen aus, wobei die Spontaneität dann an ihre Grenzen stößt, wenn unter den schnellen Zeitmaßen die Genauigkeit leidet. In Così fan tutte wackelt es einige Male bedenklich, und die Königin der Nacht kann ihre Koloraturen nur dank einer massiven Tempodrosselung aussingen. Live-Charakter in Ehren, aber in einigen Fällen wären Korrektursitzungen dringend nötig gewesen. Negativ schlagen auch die unbeholfenen deutschen Dialoge in der Entführung aus dem Serail (Regie Harald Clemen) und vor allem der Zauberflöte (Göran Järvefelt) zu Buche. Am besten gelungen ist La clemenza di Tito, sowohl von der abgerundeten sängerischen Leistung her als auch in der fast kammermusikalischen Konzentration auf die menschlichen Ver(w)irrungen, die Järvefelts Inszenierung hier erreicht. Das liebevoll restaurierte Barocktheater von Drottningholm bietet in diesen Mozart-Aufführungen Gelegenheit, den schillernden Begriff der Authentizität über die klangliche Seite hinaus auszuweiten. Das gilt nicht nur für die Inszenierungen, die einer unauffällig historisierenden Ästhetik verpflichtet sind, sondern auch für die gut sichbaren Musiker, die Perücken und dazu passende Kostüme tragen. Es harmoniert mit dem Ambiente dieses intimen Theaters mit seiner schmalen, aber sehr tiefen Bühne, auf deren Holzboden die Gänge rustikal poltern und wo die Kulissen offenbar wie vor zweihundertfünfzig Jahren noch knarrend von Hand gezogen und gekurbelt werden. Die historische Bühnenmechanik, ein Wunderwerk damaliger Technik, erlaubt erstaunlich schnelle Szenenwechsel und ist auch heute noch für manche Überraschungseffekte gut. Die DVD ergänzt den Höreindruck, den man von den CD-Aufnahmen hat, durch unerwartete Einblicke und vermittelt somit etwas von der besonderen Drottningholmer Aura. An ihre Grenzen stoßen die Aufnahmen, wenn wie in der Zauberflöte auch das Bühnenlicht gleichsam historisierend benutzt wird; eine Art Kerzenbeleuchtung sorgt hier für einen dauerhaften Grauschleier auf dem Bildschirm und lässt viele Details im Halbdunkel untergehen. Dazu kommt, dass die Videoregie von Thomas Olofsson alles andere als einfallsreich ist. Einzig in Così fan tutte (Inszenierung: Willy Decker) erlaubt sie sich einige Extravaganzen, indem sie die Aufführung auf gelungene Weise in ein Davor und Danach einbettet und so das Geschehen in die heutige Zeit hinein verlängert. © Max Nyffeler 2007
(Juni/2007)
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